Längst sitzen die Deutschen nicht nur mit Fernbedienung bewaffnet vorm Fernseher, sondern auch mit iPad, Smartphone und Konsorten. Etwa die Hälfte der Zuschauer surft, twittert oder bloggt nebenher, zumeist ohne Bezug zum Programm. Das ergaben Onlinestudien von ARD und ZDF. „Second Screen“ nennen Marketing-Spezialisten das Zwei-Bildschirm-Phänomen, das seit etwa 2010 kursiert.
Die Fernsehlandschaft reagiert sukzessive darauf und „kommuniziert“ mit Second Screen-Nutzern via App zur Sendung, die sich diese im App-Store herunterladen. So hat RTL eine kostenlose Second Screen-Anwendung namens „RTL Inside“ entwickelt, die im Programm beworben wird. Während beispielsweise die Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ läuft, verwandelt sich das Sender-Logo mehrmals zum RTL Inside-Logo. Das ZDF wiederum hat seine allgemeine Sender-App mit einer Second Screen-Funktion ausgestattet, die inhaltlich ausgerichtet ist auf Fernsehausstrahlungen wie die Krimi-Serie „Schuld“ nach dem Bestseller von Ferdinand von Schirach.
Über die Sender-Apps klinken sich die Fans in ihre Wunsch-TV-Formate ein, stimmen sich untereinander ab, tauschen sich aus oder holen Informationen zum Gesehenen ein. Ganz ohne die Anwendung zu verlassen, denn sie finden darin alles im Überblick. Im Falle der ZDF-Reihe „Schuld“ können Hobbykriminologen unter dem Hashtag #ZDFschuld auf Twitter oder Facebook selber auf Spurensuche gehen, während der Sendung Vermutungen anstellen, Fragen abgeben, mehr über Personen und Orte erfahren, sich juristische Begriffe erklären lassen. Fernsehen wird zum interaktiven Erlebnis und der zweite Bildschirm zur Dialog- und Lernplattform. Klassisches Media knüpft dabei an neue Digital-Strategien an. Solch innovative Maßnahmen haben zum einen das Potenial, den Absatz von Unternehmen zu erhöhen und zum anderen neue Zielgruppen für Sender zu generieren. Genau das verkennen viele Hersteller und TV-Sender noch.
„In den Bereichen Marketing und Kommunikation wird Second Screen bereits genutzt. Als E-Commerce-Möglichkeit beachten es Unternehmen und Werbetreibende bisher zu wenig“, resümiert Kundenberater David Burow von der Berliner Mediaagentur DIEMEDIAFABRIK. „Dabei sind die Zuschauer potentielle Käufer. Second Screen kann, wenn es gut gemacht ist, zum Kauf animieren.“ So wird der Kunde über diverse Kanäle auf die Werbebotschaften aufmerksam, was die Chancen für einen Kauf deutlich erhöht.
„Second Screen“ ist ein Lockmittel ins Einkaufsparadies des World Wide Web. Immerhin wird hierzulande fast jeder dritte Einkauf über mobile Endgeräte abgeschlossen. Zu diesem Ergebniss kommt das Performance Marketing-Unternehmen Criteo in der Untersuchung „State of Mobile Commerce“, bei der 3 000 Onlinehändler analysiert wurden. Demnach generieren sie fast die Hälfte der mobilen Transaktionen über Apps. Bevor der Kunde kauft, informiert er sich erst über mehrere Endgeräte wie Smartphone oder Tablet.
„Einkaufsvorschläge ans Fernsehen zu koppeln, die zum TV-Format passen, ist eine logische Schlussfolgerung aus dem Verhalten der Zuschauer“, findet David Burow von der MEDIAFABRIK. „So hält man die Fans bei der Serie und bietet Ihnen einen Mehrwert.“
In der Realität sähe dies so aus: Via App könnte der Zuschauer in der Werbepause und im Anschluss an die Sendung dazu bewogen werden, eben gesehene Produkte aus dem TV-Format zu kaufen. Während Anwalt Friedrich Kronberg, gespielt von Moritz Bleibtreu, also im TV-Krimi „Schuld“ den Tätern auf die Schliche kommt, erhält der Konsument zuhause das legere Sakko des Advokats angeboten oder aber den schicken grauen Schal für den nächsten Winter. Alternativ werden ihm weitere Produkte vorgeschlagen.
An Alter oder Geschlecht kommen Unternehmen über mehrere Wege: entweder durch die Anmeldung des Zuschauers mit dem Facebook Account oder durch simples Abfragen beim Download der App. Möglich ist auch, spezielle 3rd Party Audience Daten-Anbieter einzuschalten. Sie tracken das Endgerät mit Fingerprint und Advertiser ID (z. B. IDFA) oder erhalten wie im Falle von Adsquare, mit denen unsere Schwesteragentur DIEONLINEFABRIK bei ihren Mobile-Kampagnen zusammenarbeitet, die Audience Daten durch eine Geo-Lokalisierung. Hier gibt es keine ausgewiesenen Daten, sondern „nur“ Audience Segmente. Mit diesen soziodemographischen Informationen kann jedem Second-Screen-Zuschauer sein passgenaues „TV-Shopping-Programm“ zugespielt werden. Ein Empfehlungsmarketing je nach Lust, Stylinglaune und Saison, wie es Zalando oder Amazon schon lange machen.
Am Ende jeder weiteren Krimifolge von „Schuld“ fiebern die Fans dann vielleicht nicht nur künftig, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist, sondern auch, ob denn das coole Anwaltssakko noch zu haben oder bereits ausverkauft ist. Das passiert, wenn die passende Second Screen-Werbung eingeschlagen hat.
(07.09.2015)